Meine Ausbildung als Grinberg Praktikerin war in diesem Punkt sehr klar: Selbstliebe ist ein Fehlkonzept, Selbstmitgefühl lächerlich, weil es doch darum geht, die Aufmerksamkeit in die Welt zu lenken und sich nicht in innerliche, erfundene Kämpfe zu verstricken, die nie zu gewinnen sind. Um sich selbst drehen war so ziemlich das Schlimmste, was man machen konnte. Außerdem ging es um Zentriertheit und Präsenz, die nicht zu erreichen ist, wenn ein Teil in mir sich über einen anderen Teil von mir beschwert, den ein dritter Teil zu lieben versucht.
Heute, viele Jahre später erkenne ich immer noch den Wert in der Botschaft: Hör auf, um dich und deine Probleme zu kreisen und wende dich der Welt zu. Sie braucht dich und deine Fähigkeiten.
Doch bei aller Liebe zur Präsenz in der Welt: Wir haben die Fähigkeit, uns selbst zu beobachten, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeit impliziert, dass wir unsere Aufmerksamkeit zumindest zweiteilen: Ein Teil beobachtet den Rest und lernt im besten Fall daraus. Daher ist dies als Fähigkeit anzuerkennen. Entscheidend ist meiner Erfahrung nach, wie dieser Teil von mir den Rest beobachtet. Mit verurteilender Härte, mit ewiger Nachsicht und Entschuldigung oder mit wachem Interesse, das nicht urteilt, sondern lernen möchte. Und vielleicht noch entscheidender: Mache ich das den ganzen Tag, bin ich in Gesprächen immer nur halb dabei, weil ich mit mir selbstbeschäftigt bin? Oder bin ich mit ganzer Aufmerksamkeit bei den Menschen, die ich treffe, in der Welt, in der ich mich bewege und nehme bewusst Momente zur Besinnung?
Verurteile ich mich für meine Fehler wird das dazu führen, dass ich deprimiert bin und in Selbstmitleid versinke oder mir jemanden suche, dem ich wehtun kann, um meinen eigenen Schmerz nicht spüren zu müssen. Den Schmerz, den ich mir gerade selbst zufüge. Begegne ich mir mit wachem Interesse, brauche ich meine Fehler nicht zu verstecken, unter den Teppich kehren, mich dafür zu schämen oder sie ignorieren. Ich kann mich ihnen stellen, unangenehme Gefühle aushalten und mich weiterentwickeln. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich auch Handlungen beobachten, die ich als gut empfinde. Mit wachem Interesse brauche ich mich dann nicht beweihräuchern, größer machen als ich bin, in Selbstlob ertrinken, aber warum nicht mal zufrieden sein, meine kleinen Erfolge feiern?
Trotz allem beobachte ich, dass Menschen glücklicher sind, die sich Aufgaben widmen, die ihnen am Herzen liegen, die sich Menschen, Tieren, der Natur, der Kunst, ihrem Beruf oder etwas Anderem verschreiben, sich schenken und vergessen, über sich selbst nachzudenken. Glücklicher als die, die ein Seminar nach dem anderen besuchen und sich dauernd um sich selbst kümmern, weil sie immer noch ein Problem finden, das gelöst werden muss.
Das wache Interesse am Leben sollte meiner Auffassung nach dennoch auch uns selbst mit einbeziehen. Wir entwickeln uns weiter, indem wir uns in der Welt erproben, an Anderen reiben, indem wir scheitern und daraus lernen. Wir entwickeln uns auch weiter, indem wir uns Zeit nehmen, um uns selbst zu spüren, zu beobachten. Zehn Minuten am Tag machen einen Unterschied. In Stille auf der Gartenbank, am Küchentisch, am Wohnzimmerteppich, mit Anleitung oder ohne. Du, ganz mit dir, mit ehrlichem Interesse und gütigem Blick – um danach wieder mit Volldampf in die Welt zurückzukehren.
Manchmal ist der Anfang gemeinsam leichter. Manchmal geht’s mit Bewegung besser. Deshalb bieten wir einen Workshop an. Individuell buchbar. 3 Stunden oder mehr, was für dich in diesem Moment passend ist. Am 17./18. Juni. Info unter: https://www.schwoaga12.de/selbst-wirksam/