dem baum hilft manchmal nur der draht, den ein mensch um ihn wickelt, vor dem biber.

Mir ist es in letzter Zeit zweimal passiert, dass ich in öffentlichen Situationen jemand auf sein unpassendes Verhalten hingewiesen habe, ohne dass ich mir vorher überlegt habe, ob ich das tun wollte oder nicht. Beide Male bin ich danach „einen Zentimeter gewachsen“, deshalb habe ich mir überlegt, was es mir ermöglicht hat, so zu handeln und wie dir das nützen könnte. Aber zuerst einmal die Geschichten.

Szene 1: Imbissstand „dean und david“ am Münchner Bahnhof

Ich kaufe mir regelmäßig das „vegane Thaicurry“, weil es frisch und hausgemacht schmeckt. Die Mitarbeiter sind immer freundlich, allerdings sehe ich selten länger dasselbe Gesicht. Eines Donnerstags war neben den Angestellten ein offensichtlich höher gestellter Mitarbeiter, der mir und den anderen Kunden mit ausgesuchter Höflichkeit begegnete. Seinen offensichtlich gerade erst eingestellten Mitarbeitern knurrte er stets unangenehme Dinge zu und zeigte ihnen neben den Kunden dauernd ihre Unzulänglichkeit. Der mich bedienende Mitarbeiter wurde zusehends unsicherer und versuchte, den Anweisungen zu folgen.

Als ich mein Thaicurry in der Hand hielt und mich zum Gehen wandte, drehte ich mich noch einmal um und sagte laut: „Es wäre sehr angenehm, wenn Sie zu Ihren Mitarbeitern genauso freundlich wären wie zu Ihren Kunden.“ Der coole Typ versuchte sein Verhalten herunterzuspielen und meinte: „Das ist der Schmäh, der zwischen ihm und mir läuft.“ „Das sehe ich nicht so,“ erwiderte ich und ging.

Sein Verhalten wird sich nicht durch das, was ich gesagt habe, ändern. Aber zumindest war da kurz jemand, der ihm gezeigt hat, dass er es nicht in Ordnung findet. Zumindest hat hoffentlich der Angestellte mitbekommen, dass es nicht an ihm liegt. Zumindest hatte er einen anderen Referenzpunkt.

Szene zwei: Freitagabend in der Sauna

Was ich bis jetzt nicht wusste: Am Freitagabend gehen fast nur Paare in die Sauna und Männer, die gerne eine Partnerin hätten. Zumindest in die Sauna, in die ich oft gehe. Wie es sich so ergab, waren in der Biosauna auf einmal nur ein Mann und ich, was an sich ja kein Problem darstellt. Der Mann begann sich aber nach geraumer Zeit seinen Penis zu streicheln. Nicht ein paar Sekunden, sondern länger. „Ich finde das höchst unpassend und unangenehm“ hörte ich mich sagen. „Okay,“ sagte er und hörte auf. „Ich möchte jetzt allein in der Sauna sein“, sagte ich und er stand auf und ging. Bestimmt gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie ich in dieser Situation handeln hätte sollen. Für mich war es die richtige Reaktion. Erstaunlich war, dass ich keine Sekunde vorher darüber nachgedacht habe, was ich tun solle.

Lange Zeit in meinem Leben erlebt ich Situationen, in denen ich nichts sagen konnte und danach gingen mir hunderttausend Möglichkeiten durch den Kopf, was ich hätte sagen können. Was hat sich geändert, beziehungsweise, was brauchst du, um in Situationen zu reagieren, in denen du etwas wahrnimmst, das für dich nicht in Ordnung ist?

  • Das Vertrauen, dass deine Wahrnehmung „stimmt“, dass etwas, wenn es für dich nicht in Ordnung ist, so sein darf. Auch wenn sonst niemand etwas sagt, auch wenn es Andere normal oder in Ordnung finden.
  • Das immer wieder Spüren und Realisieren, dass du die Zustimmung, Anerkennung oder was auch immer wir so bei Anderen suchen, nicht zum Überleben, und auch nicht zum Glücklich sein brauchst.
  • Das Erkennen der Tatsache, dass Andere deine Grenzen weder sehen noch spüren, wenn du sie nicht setzt. Immer wieder, klar und deutlich. Auf deine Art, die auch ruhig und bestimmt sein kann und nicht unbedingt laut und beeindruckend muss.
  • Das Realisieren, dass du mitbestimmst, in welcher Welt du lebst, dass du Situationen mitgestalten kannst und sie auch verlassen kannst. Du bist kein Baum, auch wenn das vielleicht schön wäre. Du hast eine Stimme und zwei Füße zum Laufen, vergiss das nie. Die Welt braucht sensible Personen, die den Mut haben, zu ihren Werten zu stehen. Die Welt braucht dich.
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