Heute erzähle ich dir die Geschichte von Elodie, der Yakkuh aus dem Tegernseer Tal. Lies sie, wenn du dich nicht traust, in etwas zu investieren, dessen Ausgang unsicher ist. Lies sie, wenn du dich nach mehr Liebe sehnst und danach, tiefer ins Leben einzutauchen, auch wenn es garantiert immer wieder schmerzhaft sein wird.

Elodie war auf einer neuen Weide hoch oben im Tegernseer Tal. Sie war die Rangniedrigste, trächtig und wir fanden sie am Sonntagvormittag bis zum Hals in einem Schlammloch versunken. Mein Freund, verantwortlich für diese Herde, begann Äste herbeizuschaffen, damit er nicht auch noch im Schlamm stecken blieb. Das taten wir so lange, bis wir neben Elodie stehen konnten.

Obwohl es Sonntag war, waren innerhalb einer Stunde zwei Freunde zur Stelle. Vinzenz, Jürgen und Andreas begannen fieberhaft zu überlegen, wie das Tier aus dem Schlamm zu ziehen und aus dem Waldstück zu transportieren war. Bei strömenden Regen, ohne Zufahrtsmöglichkeit auf einem 400 Meter langen, durchweichten Waldweg.

Die Frage war nie, ob das Tier aus dem Wald geschafft werden würde, sondern nur wie. Die Gespräche waren kurz, die Einfälle wurden knapp mitgeteilt, durchgesprochen, verworfen oder umgesetzt.

Am Sonntagabend war Elodie aus dem Schlamm gezogen, aber sie konnte nicht stehen. Ihre Vorderbeine fanden keinen Halt. Der Tierarzt konnte keine Verletzung erkennen. Am Montag – immer noch unter strömendem Regen – hatten die Männer ein Gerüst aufgebaut und Elodie hing an Gurten befestigt und wurde mit Seilwinden hochgezogen, sodass sie das Stehen üben konnte. Ich tat das, was ich jahrzehntelang mit Menschen getan hatte – ihren Körper so zu berühren, dass er die Angst zulassen und zur Heilung verwenden konnte. Die Momente, in denen sie mir ihr Kiefer anvertraute oder ihren Kopf auf meinen Rücken legte, werden immer bei mir bleiben.

Elodies Beine versagten trotzdem, als wir versuchten, sie den Waldweg entlangzuführen. Die Köpfe der Männer arbeiteten auf Hochtouren. Letztendlich wurde Elodie vom Tierarzt leicht sediert, fand sich entspannt auf der Gerüstplatte sitzend und fuhr in Zeitlupe den Waldweg entlang. Seilwinden, Kletterseile, Bäume und ein Traktor am Ende des Weges halfen dabei, Elodie Zentimeter für Zentimeter zu ziehen. Wie eine Königin saß sie da und fuhr durch den Regen.

Am Montag um 21.00 fand sie sich im Tiertransporter wieder, am Dienstag wurde sie, wieder leicht sediert, in einen Unterstand übersiedelt. Ich fragte den Tierarzt, ob er auch für uns Drogen dabei hätte, was er bedauerlicherweise verneinte. Den Unterstand wählte Andreas, weil Yaks den freien Himmel gewohnt sind und alles tun, um zu entkommen, sobald sie in viereckige Gebäude gesperrt werden.

Die ganze Woche versuchten wir alles, um Elodie und ihr Junges gesund zu bekommen. Sie wurden mit Gras und Heu versorgt, massiert, hochgezogen, niedergelegt, besungen, besprochen und versprochen habe ich ihnen immer eine sonnige Blumenwiese am Ende der Reise.

Am Sonntag war klar, dass der Endpunkt des Weges nicht hier bei uns sein würde. Ich gab dem ungeborenen den Namen Elvira und die Tierärztin kam ein letztes Mal.

Ein Freund fragte mich, ob ich das Post über die Rettungsaktion auf fb löschen würde, jetzt, wo Elodie gestorben war.

Ich lösche kein Post und ich lösche nicht die Erinnerung an ein Wesen, das in jedem Moment dem Leben zugewandt war. In jedem Moment, bis zum Augenblick, in dem sie sich dem Tod zuwandte.

Ich lösche nicht die Erinnerung an ein Ereignis, das mir gezeigt hat, dass die guten Dinge gemeinsam entstehen und dass Kreativität überall zu Hause ist. Mit einem Pinsel in der Hand oder an einem verregneten Tag im Wald.

Und schon gar nicht lösche ich dir Erinnerung daran, dass es darum geht, dass wir immer wieder den Mut finden, uns auf das Leben einzulassen, auch wenn der Ausgang von Situationen ungewiss ist – und vielleicht auch, weil unser aller Ende so gewiss ist.

 

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