für viele Menschen zu unordentlich

Hochsensibel zu sein sagt nichts darüber aus, ob du ein kreativer Chaot oder eine ordnungsliebende Seele bist. Das Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos jedoch hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in deinem Leben.

„Zuerst müssen sich die Dinge im Inneren in ordnen. Erst dann kann sich diese Ordnung im Leben reflektieren“, hörte ich meine weise Chefin der Bildungsfirma, für die ich mitunter arbeite, sagen.

Hochsensible Menschen haben oft ein hohes Bedürfnis nach innerer Ordnung, weil die ständig aktiven Antennen so viele Informationen auffangen, dass alleine dadurch immer wieder eine gewisse Unordnung im Inneren entsteht. So viel Gehörtes, Gefühltes, Gedachtes, Gesehenes tummelt sich und möchte verarbeitet werden.

Schrittweise vom Chaos zur Ordnung

Für diese innere Ordnung ist oft nichts anderes notwendig als „Auszeit.“ An einem Bach sitzen und bewusst beobachten, wie das Wasser einfach immer weiter rinnt, Dinge wegschwemmt, mitnimmt, auflöst. Mit einer Augenbinde am Sofa liegen und die Musik wählen, die schrittweise vom Chaos in die Ruhe führt. (Meine Tochter schwört auf „aggressive“ Musik zu Beginn und auf keinen Fall gleich etwas Beruhigendes) Lange vor der Schlafenszeit ins Bett gehen und lesen, streicheln oder die Stille genießen. Die Liste der einfachen Dinge ist lang und schreit danach, regelmäßig erweitert und erprobt zu werden. Auch deswegen, weil das, was gestern funktioniert hat, noch lange nicht heute funktionieren muss.

Es ist aber nicht durchaus immer so, dass zuerst die innere Ordnung und danach die äußere Ordnung stattfindet. Gerade wegen der hohen inneren Aktivität brauchen viele hochsensible Menschen Ordnung im Außen. Der aufgeräumte Schreibtisch beruhigt, das ordentliche Wohnzimmer lädt zum Verweilen ein.

Das gewisse Maß an Unordnung

Klinisch saubere Wohnungen, in denen nichts herumliegt, alles an seinem Platz steht und die an perfekt gestylte Wohnungen der Zeitschriften erinnern, tragen eher nicht zum Wohlbefinden bei, da sie sehr schnell das Lebendige, Individuelle verlieren. Sie vermissen den Punkt an Chaos, der die Spannkraft in der Ruhe herstellt. Ein Maß an Ungeordnetem ist unabdinglich für die Freiheit der Seele, ein Stören der Ordnung wichtig für das Unvorhersehbare, das das Leben interessant macht, sowie unsere Neugier weckt.

Unkraut oder Lebendigkeit?

Wie genau dein Gleichgewicht an Ordnung und Chaos aussieht, erspürst du selbst am besten. Du weißt, wann der Punkt gekommen ist, an dem du alles liegen und stehen lässt, nur um den Speicher aufzuräumen. Du spürst, wann dein Schreibtisch mit hohen Stapeln dich nicht mehr inspiriert, sondern am Denken hindert. Du ahnst, wann du die Ordnung durchbrechen, den Abwasch stehen und die Hose mitten am Teppich liegen lassen musst.

Hochsensible Menschen kommen nicht darum hin, immer wieder nachzuspüren, hinzuschauen und nicht aus Prinzipien heraus Entscheidungen zu treffen, sondern aus dem Erspüren und genauem Betrachten der aktuellen Situation heraus.

Wenn du zu den Menschen gehörst, die immer Ordnung halten, die Chaos nicht aushalten, dann wird es vielleicht Zeit, dich für Momente der Unordnung zu öffnen. Vielleicht hilft dir dein Freund, dein Hund oder sonst jemand dabei, deine perfekte Ordnung durcheinander zu bringen und bringt dich dadurch ein Stück weit zu einem dir noch unbekannten, wilden, nicht kontrollierbarem Wesensteil, den du normalerweise lieber meidest.

Eine der für mich schönsten Wesenszüge von hochsensiblen Menschen ist für mich ihr Streben nach Ganz-Sein, nach dem tieferen Erkennen der Welt, sich selbst eingeschlossen. Das Wechselspiel zwischen Ordnung und Chaos ist wohl ein Aspekt dieses Großen Ganzen und von ganz weit weg betrachtet besteht wohl kein Unterschied zwischen Ordnung und Unordnung, beinhalten sie sich gegenseitig und sind nur ein Gesicht derselben Medaille.

zu sehr geordnet?

Dennoch, bleiben wir pragmatisch:

Was verlangt das Leben heute? Kümmerst du dich zuerst um deine innere Ordnung oder verlangt der heutige Tag, zuerst im Außen für Ordnung zu sorgen? Oder bist du so gut im Ordnung halten, dass der Moment für einen bunten Klecks an farbiger Unordnung gekommen ist? In deinem Denken, Handeln oder am Schlafzimmerteppich? In diesem Fall hol den Farbtopf raus und beginn damit, starke Farbflecke ins gleichmäßige Pastell zu malen.

Oder erstickst du im Chaos? Dann denk nicht drüber nach, sondern nimm dir eine Ecke des Schreibtisches vor oder eine Hälfte des Kleiderschrankes. Nicht nachdenken, jetzt anfangen. Und danach – davorstehen und die Ordnung in dein Inneres hineinschlüpfen lassen und sie dort genießen!

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