Diesen Artikel habe ich nicht nur für hochsensible Menschen geschrieben, aber ich denke, er ist doch relevant, weil Hochsensible sehr reflektierende Menschen sind, die gerne hinterfragen. Viel Spaß beim Lesen!!

Eine wohl zentrale Behauptung der „New Age“ Bewegung der letzten Jahre ist, dass wir alles erreichen können, wenn wir nur wollen. Alles in unserem Leben manifestieren können, was wir uns wünschen, wenn wir unseren Verstand von Glaubenssätzen befreien und unsere Absicht klar ist.

Ob das tatsächlich möglich ist oder nicht, ist nicht zu beweisen. Leicht hingegen ist zu beweisen, dass Menschen Millionen verdienen am Verteilen dieser Nachricht. Die interessantere Frage ist allerdings, ob es für uns Menschen ein so relevantes Thema ist wie uns suggeriert wird.

Denk an eine Reihe von Wünschen, die du hattest und die sich erfüllt haben. Einige von ihnen waren ein Segen, andere ein Fluch. Vieles war dann doch anders als erwartet und möglicherweise gab es auch Momente, in denen du einen erfüllten Wunsch am liebsten rückgängig gemacht hättest.

ich dachte, du wärst ein richtiger Prinz

ich dachte, du wärst ein richtiger Prinz

Wenden wir uns den nicht erfüllten Wünschen zu. Wie oft hast du nicht das bekommen, was du bestellt hast und es erwies sich am Ende als wunderbare Fügung? Wie oft war das, was du anstelle deines Wunschpaketes bekommen hast, etwas, das dein Leben bereichert und dich als Mensch weitergebracht hat?

Ich wage zu behaupten, dass es nicht relevant ist, ob wir das bekommen, was wir wollen. Und ich gehe noch weiter und sage, dass wir selten bereit sind, viel für die Verwirklichung unserer Wünsche zu tun.

Nehmen wir an, ich möchte Schriftstellerin werden. Ich arbeite Vollzeit als Industriekauffrau, habe einen Hund und muss auch noch nach meiner Mutter schauen, die nicht mehr ganz fit ist. Am Wochenende schreibe ich manchmal, aber meistens bin ich zu müde. Die Abende verbringe ich mit meinem Freund vorm Fernseher. Schriftstellerin wäre mein Traumberuf.

Oder: Ich möchte Schriftstellerin werden. Ich habe meine Stelle auf 30 Stunden heruntergeschraubt und muss mich seither bei meinen Ausgaben ziemlich einschränken. Während ich mit meinem Hund spazieren gehe, überlege ich mir die Handlung meiner nächsten Kurzgeschichte. Fernsehen behalte ich mir einen Abend in der Woche vor, an den restlichen Abenden lese ich all die Bücher, die ich immer schon lesen wollte. Die Geschichten, die ich am Wochenende schreibe, lese ich meiner Mutter vor. Ich treffe mich alle zwei Monate mit anderen Menschen, die gerne schreiben. Wir ermutigen uns gegenseitig, am Ball zu bleiben.

Wenige Menschen schreiben Bücher, noch viel weniger werden berühmte Schriftsteller. Woran das liegt? An einem komplexen Zusammenspiel von unzähligen Faktoren, von denen nur einige wenige an uns selbst liegen.

Der freie Wille, den wir dennoch zu besitzen scheinen, zeigt sich darin, dass wir Dinge wollen, egal ob wir sie bekommen oder nicht. Dass wir darauf zugehen, in Handlungen zeigen, was wir wollen und uns nicht leicht davon abbringen lassen. Er zeigt sich in Flexibilität im versuchten Erreichen des Ziels und in der Freiheit, uns einen Teil des Kuchens zu nehmen, auch wenn er uns nicht serviert wird.

Im Falle des Schreibens kann es sein, dass niemand lesen will, was ich schreibe, aber dass mir das Leben auch noch das Blatt Papier und den Bleistift wegnimmt, ist unwahrscheinlicher. Und auch dann gibt es immer noch Wege, meinen Willen zu schreiben, auszudrücken. Nicht das zu tun, was wir gerne tun würden, entschuldigen wir sehr oft mit tollen Ausreden. Fast immer sind wir nur nicht bereit, andere Dinge fallenzulassen, Mühen auf uns zu nehmen oder Unangenehmes zu konfrontieren.

Wie oft wollen wir etwas und stehen vor verschlossenen Türen? Hämmern darauf ein, setzen uns davor und heulen, hassen die anderen, die einfach durchzuschreiten scheinen? Beschweren uns darüber, dass ausgerechnet bei uns immer wieder die Türen versperrt werden?

Wir könnten auch den Blick heben, uns auf die Zehenspitzen stellen und durchs Fenster einen Blick auf das Grün draußen erhaschen. Wir könnten mit Liegestützen beginnen, weniger essen und uns irgendwann hinauf hieven und durchs Fenster klettern. Auf der anderen Seite hinunterkugeln ins weiche Gras und losmarschieren ins nächste unmöglich erscheinende Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

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