„Ich zuerst” traue ich mich fast nicht zu schreiben in der Selfiezeit, in der es nur um Selbstdarstellung zu gehen scheint. Doch: Geben wir uns wirklich das, was wir brauchen? Kümmern wir uns tatsächlich um unseren Körper und unser seelisches Wohlbefinden?

Besonders in meiner Arbeit mit sensiblen Menschen stelle ich immer wieder fest, dass sie das Wohlbefinden Anderer über das eigene stellen. Oft liegen sie bei mir am Behandlungstisch und konzentrieren sich endlich auf sich. Es geht ihnen gut. Dann lauert die Frage: Darf ich das? Das würde ich so meinem Sohn, meinem Mann, meiner Schwiegermutter wünschen. Beim Überlegen, wie wir es anstellen, dass die Andern zu diesem Genuss kommen, versäumen wir den Moment. Unseren Moment.

Warum ist es also besonders für hochsensible Menschen notwendig, sich an erste Stelle zu stellen?

Stell dir kurz vor, du sitzt neben einem Kind im Flugzeug. Plötzlich herrscht Druckabfall. Die Sauerstoffmasken fallen herunter, ganz so wie immer besprochen, aber nie passiert. Erinnerst du dich an den Hinweis „Zuerst gibst du dir die Sauerstoffmaske rauf und dann ziehst du sie deinem Kind über?“ Dieser Hinweis gilt besonders für hochsensible Menschen. Weil sie die Tendenz haben, zuerst allen rundherum die Maske aufsetzen zu wollen, dann weg kippen und am Ende weder sich noch anderen helfen können.

Das „Ich zuerst“ sollte deshalb für eine Zeit zum Mantra werden. Ich zuerst, nicht weil ich nicht an andere denke. „Ich zuerst“ weil ich sonst nicht die Kraft habe, für andere da zu sein. „Ich zuerst“ weil es den anderen dann gutgehen wird, wenn es mir gutgeht. „Ich zuerst“ weil sich das „was brauchst du“ bei sensiblen Menschen sowieso gleich dahinter stellt.

Jetzt werden sich besonders die Mütter und Menschen, die neben der Arbeit noch Angehörige pflegen, fragen, wie sie das machen sollen.

Ich habe keine allgemeingültige Antwort. Mein Vorschlag ist, das Beispiel mit der Sauerstoffmaske eine Zeitlang immer präsent zu haben.

Frag dich in jeder Situation, was es bedeutet, dir zuerst die Sauerstoffmaske aufzusetzen.

Vielleicht bedeutet es heute, um acht Uhr abends schlafen zu gehen oder dich zum Yogakurs, der Singstunde oder dem Tanzkurs anzumelden. Vielleicht bedeutet es, um konkrete Dinge zu fragen oder mehr Dinge abzusagen. Vielleicht heißt es auch, öfters zu sagen: Ich kann nicht. Und noch öfter: Ich will nicht.

Was bedeutet es für dich, die Sauerstoffmaske zuerst dir selbst aufzusetzen?

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